„Schöne Beine hat die Kleine"
oder
Vor 50 Jahren: VENUS - Roller in Donauwörth
„Es war einmal `ne süße Dame,
Venus war schön wie ihr Name.
Der DEN Roller hat erfunden,
hat desgleichen wohl empfunden
(Schuld allein die Formen, die runden).
Darum sag ich - nicht allein: Venus,
Du musst meine sein!"
Günter P., ein begeisterter Venusfahrer (Sep. 1954)
Vor einem halben Jahrhundert wollte man die Entbehrungen des Zweiten Weltkriegs schnell vergessen. Die Deutschen begannen, die Freiheit der Mobilität zu entdecken, ein ungeahnter Zweiradboom setzte ein. Motorrad - und Roller - Hersteller feierten Hochkonjunktur; man glaubte damals, ein eigenes fährbares „Dach über dem Kopf" sei für lange Zeit unerschwinglich. Neben den großen Fabriken fanden sich eine Menge ideenreicher und wagemutiger Jungunternehmer, die sich ihr Stück vom Kuchen abzuschneiden gedachten, doch oft nach kurzer Zeit im „Nichts" verschwanden.
Im Frühjahr 1953 erstaunten attraktive Prospektblätter der bis damals unbekannten VENUS GMBH Donauwörth die Fachwelt und interessierte Laien mit der Vorstellung von drei verschiedenen Rollertypen, vom „eleganten Gebrauchsfahrzeug der modernen Dame" bis zum „Langstrecken-Reiseroller für alle glücklichen Paare". Hinter dieser Ankündigung stand der junge Curt („Biwi") Würstl (Jahrgang 1930) aus Donauwörth.
Die Firma Würstl sen. hatte seit vielen Jahren als Fachgeschäft für Fahrräder und Nähmaschinen einen guten Namen; die (wechselnden) Geschäftsräume befanden sich in der Donauwörther Reichsstraße. Nach den Bombenschäden des Zweiten .Weltkriegs bezog die Firma das Haus Reichsstraße 43.
Sohn Curt baute sich 1952 einen eigenen Firmensitz: Mehr am Stadtrand (heute würde man sagen: in einem damaligen Industriegebiet) errichtete er sich ein großes einstöckiges Gebäude (heute Dillinger Straße 57, Firma Mück). Im ersten Stock sollte die neue Rollerproduktion eingerichtet werden, das Erdgeschoss war für Büros, die Reparaturabteilung und die Wohnung des Firmeninhabers vorgesehen.
Die Konstruktion des neuen hübschen Rollers war eigenständig. Matthias („Matto") Weiland war ursprünglich mit der Idee eines leichten Damenrollers auf Curt Würstl zugegangen. Ein von ihm gebauter Prototyp konnte jedoch wegen seiner zu einfachen Bauweise nicht in Serie gehen. Die Idee jedoch wurde von Curt Würstl weiterverfolgt. Zusammen mit Ingenieur Essig aus Monheim (dieser war ursprünglich Betriebsleiter bei Käthe Kruse) fertigte er erste Entwürfe.
Das Personal der neuen Firma bestand aus 25 bis 30 Mitarbeitern, davon waren zehn Monteure; selbstverständlich fanden dabei auch Verwandte und Freunde des Hauses Würstl Arbeit. Die ersten Roller wurden offensichtlich (wie angekündigt) mit Ilo-Motoren ausgeliefert, doch dürfte hiervon nur eine geringe Stückzahl (ca. 20) gefertigt worden sein. Als schließlich im Spätsommer 1953 die Serienproduktion anlief, kamen die damals neu entwickelten Sachs-Zweitaktmotoren („150er" und „175er") zum Einsatz.
Der Damenroller Venus DS 100 besitzt ein 98 ccm - Herz mit 3 PS Leistung und wurde als „deutscher Damenroller Nr. 1" oder „Prototyp eines modernen Nahverkehrsmittels der Frau" angepriesen. Da hierfür zunächst nur ein total veralteter Ilo-Motor zur Verfügung stand, wurde seine Fertigung erst später (1954) durch die WMD (Waggon- und Maschinenfabrik Donauwörth) aufgenommen. Die Produktion konnte daher anfänglich nicht allen Aufträgen gerecht werden. Die „Geburtsstätte" dieses Rollers war eine Baracke hinter der Sporthalle an der Zirgesheimer Straße.
Frühe Prospektblätter zeigen einen Roller („M 50 - eigentlich DS 100 - der Roller der Dame, elegant und zuverlässig", „M 100 - eigentlich MS 150 bzw MS 175 - der Roller des Herrn") mit der Ehefrau des Firmeninhabers als stolze Fahrerin. Im Hintergrund zeichnet sich das moderne Produktions- und Firmengebäude ab. Der Roller ging mit der dargestellten Zweifarbenlackierung nie in Serie, die Bullaugen an der Heckverkleidung tauchen später nicht mehr auf. Möglicherweise stammten einige Teile noch von dem Weilandschen Prototyp.
Der Damenroller wandte sich mit seinen nur 65 kg Gewicht (andere Angaben: 89 kg) gezielt an weibliche Kunden. Wohl aus Kostengründen verzichtete man auf Federbeine für die Hinterradschwinge. So verpasste man dem DS 100 an Stelle einer erwarteten Sitzbank einen Schwingsattel. Die Heckverkleidung konnte mit zwei Zugknöpfen oberhalb des Nummernschildes entriegelt und nach vorn geklappt werden. Nun waren das Sachs-Triebwerk und der flache Tank frei zugänglich.
Zum Starten musste eine Klappe auf der linken Seite der Heckverkleidung geöffnet und der Benzinhahn aufgedreht werden. Der Motor ließ sich nun per Kickstarter problemlos anwerfen.
Die Zeitschrift MOTORROLLER (Ausgabe vom Dezember 1998) berichtet über den pfiffigen Vorwählhebel, der Zweigang-Handschaltung auf der rechten Lenkerseite: Einmal vorgewählt wechselt der Gang selbsttätig, sobald die Kupplung gezogen wird. Als liebevolle Details werden das dekorative Venus-Emblem, das „V" (für Venus) auf den Pedalgummis, handgezogene Zierlinien und Alu-Seitenzierleisten entlang der Trittbretter genannt.
Der „größere Bruder" (MS 150) mit 6,5 PS wurde als „Herrenroller" angepriesen „mit seiner sportlichen Note, seinem Temperament und rasanten Anzugsvermögen, das zweckvolle Universalfahrzeug des Herrn". Diesem Gefährt war allerdings kein großer Erfolg beschieden; seine Produktion wurde bald eingestellt.
Sehr gefragt hingegen war der MS 175 mit 9 PS, „der starke LangstreckenReiseroller". Dieses Fahrzeug wurde im Firmensitz in der Dillinger Straße zusammengebaut. An manchen Tagen fertigten die Mitarbeiter über 30 Stück, insgesamt dürften es einige tausend Exemplare gewesen sein. Der Stundenlohn eines Arbeiters betrug damals 0,97 DM; zu Zeiten der „heißen Produktion" gab es Prämien für jedes fertig gestellte Fahrzeug, 1,00 DM pro Person.
Die Arbeit bestand letztendlich in der Montage der Teile, die bei den verschiedensten damals namhaften Herstellern geordert worden waren. Neben örtlichen Firmen (z.B. fertigte das Jothawerk anfangs Vorderachs-Gabeln) lieferte die Augsburger Firma Zeuna Karosserie, Tanks und zunächst Rahmen. Später übernahm die WMD den Bau der Rahmen und Gabeln. Von Magura stammten Lenker und Zubehör, Denfeld steuerte die Sitze bei, aus dem Haus Hella kam die Beleuchtung und die Bereifung trug die Namen Dunlop und Fulda.
Die schweren Roller MS 150 und MS 175 wiesen im Gegensatz zum DS 100 eine Hinterradfederung und damit eine Sitzbank auf. Die „Großen" verfügten über vier Gänge, die über eine Fußschaltwippe gewechselt wurden. Für den MS 175 wurde gar ein Elektrostarter angeboten.
Das Blatt MOTORROLLER weist auf eine üppige serienmäßige Ausstattung des Flaggschiffs MS 175 hin: Armaturenbrett mit Tachometer und (auf Wunsch) Analoguhr, Reserverad, Lenkradschloss, Werkzeug, Montagestütze, Seitenständer, Gepäckhaken und geschlossener Kettenkasten. Gegen Aufpreis gab es einen verchromten Gepäckträger und Windschutzscheibe. Zur Auswahl wurden die Farben Beige, Rosenholz und Patinagrün angeboten.
Der Verkauf der Roller erfolgte im gesamten Bundesgebiet. Die Spedition Kube (Köln) konnte in einem speziell ausgestatteten Transporter die Fahrzeuge einer Tagesfertigung verladen und zu den Händlern im Ruhrgebiet bringen. Verkaufsleiter Ketteler hatte vielfältige Verbindungen zu Händlern im gesamten Bundesgebiet geknüpft.
Mitarbeiter Otto Mayr, doch auch die Herren Scharla und Stöckl fuhren mit einem alten Buckel-Taunus auf Händler-Rundreise, um an Ort und Stelle mit Rat und Tat Hilfestellung leisten zu können. Zur Modellpflege hatten sie später auch schwungvollere Vorderkotflügel und Verkleidungsbleche im Reisegepäck, mit denen dem Erfolgsmodell ein schnittigeres Aussehen verliehen werden konnte.
Doch die Zeit der umfangreichen Zweiradmotorisierung ging unaufhaltsam ihrem Ende zu. Verkaufshemmend wirkte sich zudem ein total verregneter Sommer 1954 aus. Firmen wie NSU oder Zündapp konnten sich jedoch noch für längere Zeit gegenüber den zahlreichen kleinen Konkurrenten behaupten.
Trotz einer Übernahme von Firma und Personal durch die große WMD (1954/55) zeichnete sich im Frühjahr 1955 das Ende der Fertigung ab. Noch bis 1956 wurden Roller zusammengebaut, Kundendienst und Ersatzteilversorgung hielt die WMD noch für längere Zeit aufrecht.
So sollte also Donauwörth nicht zur dauerhaften Produktionsstätte eines „Massenfortbewegungsmittels" werden.
Jedoch schwören die heute nur noch wenigen Venus-Eigner auf die Zuverlässigkeit und Unverwüstlichkeit ihres Vehikels ...
Franz Katzl